Review: 1648 – Von Krieg und Frieden

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun
Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret.

– aus „Tränen des Vaterlandes“ von Andreas Gryphius

Am 6.Mai gab es für die Fans der Rocketbeans das zweite Abenteuer in im Auftrag von funk und den Kirchen. Nachdem wir beim letzten Abenteuer in das pestgebeutelte Hamburg entführt wurden, springt Hauke mit den Spielern Budi, Nils, Hanno und Eva diesmal sowohl zeitlich als auch örtlich etwas weiter – wir befinden uns im Jahr 1648 in Münster. Eine spannende Zeit und auch der Beginn des Abenteuers legt gleich nahe, dass im Spiel soweit es möglich ist auf historische Korrektheit geachtet wird. Aber bevor wir uns den Details widmen, die notwendige Spoilerwarnung:

Werfen wir einen Blick auf die Optik, denn noch bevor die ersten Worte gesprochen wurden, gab es eine unwesentliche Verzögerung, in der der Spieltisch aus der Vogelperspektive gezeigt wurde – überlagert vom Titel des Abenteuers. Das Titelbild ist sehr simpel, passt aus meiner Sicht aber zum Setting. Ebenso das „Studio“, denn aufgenommen und gespielt wurde diesmal im Kapitelsaal des Doms in Münster. Eine tolle Kulisse, auf ihre Art ähnlich eindrucksvoll wie zu „Der schwarze Tod“. Der Tisch wurde passend dekoriert wie gewohnt mit Brot, Käse und Wurst bestückt. Bei den Gläsern bin ich unsicher, es sieht nach Weinkelchen und Bierhumpen aus.
Einen starken Kontrast dazu waren die Spieler. Ich bin mir wirklich unsicher, ob ich lieber passendere Kleidung gesehen hätte, oder ob ich gerade diesen lässigen Look gut finde. Unter „passende Kleidung“ verstehe ich übrigens keine Kostüme, sondern eher neutrale Kleidung, die weniger „modern“ wirkt. Aber je mehr ich das ganze in Aktion sehe, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass ich es gut so finde, wie es ist. Es unterstreicht noch mehr, dass es sich um ein Spiel handelt, das in den Köpfen der Teilnehmer stattfindet. Sie wirken, als wenn sie nicht an diesen Ort gehören und sind doch im Fokus.

Wo wir beim Fokus sind, es fällt allein in diesem Abenteuer natürlich nicht auf, aber es freut mich zu sehen, in wie vielen Aspekten die Sendung im Vergleich zu den ersten Abenteuern verbessert wurde. Allein die Kameras, die früher relativ starr am Platz waren, machen inzwischen kleine Fahrten um die Runde herum. Um mit den Worten großer Herrscher zu sprechen: „Das gefällt mir!“

Auch die Karte, die sich inzwischen in Abenteuern wie Morriton Manor oder Good Times Island bewährt hat, war wieder mit dabei. Abgesehen von einem netten Bild, auf dem man neue Orte sehen kann, gab es aber keinen weiteren Nutzen.

Vom visuellen rutschen wir langsam zu den Dingen, die auf die Ohren treffen. Die Hintergrundmusik ist situationsgerecht und bleibt stets recht unauffällig, ein leichtes Gedudel, wie der Volksmund sagen würde. Es gab keinen Moment, wo ich es als „unpassend“ empfand, aber es gab auch schon Momente in der Vergangenheit, in der Geschichte und Musik mehr Hand in Hand gingen. Während des Kampfes mit dem alten Mann aus Zimmer 9 im Winkel war das seichte Geklimper nicht unbedingt, was die Dramatik der Szene unterstützte. Auch die Größe des Raums wurde immer wieder deutlich bemerkbar, wenn sich die Stimmen erhoben, beispielsweise als Hauke und Nils ein Streitgespräch (in der Rolle ihrer Charaktere) führten – es hallte. Das ist nicht schlimm, aber auch etwas befremdlich. Ebenfalls etwas befremdlich war das Intro in der Form des Sonetts von Andreas Gryphius, vorgelesen von Ingo Mess. Hmnm, aber das passt doch gut. Ja, es passt gut, aber es weckte bei mir auch direkt die Erinnerung daran, wie viel Zeit wir in der Schule mit der Analyse dieses Textes verbracht haben. Ich fühle mich zehn Jahre jünger.

Wechseln wir das Thema, bevor ich in gemischten Gefühlen versinke. Das Abenteuer ist das erste Abenteuer, welches die offiziellen neuen Regeln aus dem „How To Be A Hero“-System verwendet. Ganz recht, wer Lust hat mit den gleichen Regeln wie die Bohnen zu spielen, kann das inzwischen relativ problemlos. Ein Blick sollte sich auf jeden Fall lohnen und wird von mir wärmstens empfohlen.

Die Charaktervorstellung war interessant, aber inhaltlich auch recht gemäßigt. Es gab aus meiner Sicht keine besonderen Überraschungen, die Charaktere wirkten alle recht glaubwürdig. Budis Beschreibung war etwas verwirrend und wirkte an manchen Stellen widersprüchlich. Vermutlich funktioniert es als geschriebener Text ganz gut, ich empfand es aber von ihm hin und wieder unklar formuliert. Die Ausdrucksweise war das Problem – zunächst sagte er, dass seine gesamte Familie ermordet wurde, zwei Sätze später war sein Großvater noch am Leben. Da hatte ich ihn schon als Waisen abgestempelt. Ebenso hat er zuerst davon erzählt, dass er ein meisterhafter Schütze ist und dann die Anekdote vom Unfall mit seiner ersten selbstgebauten Büchse erzählt. Es funktioniert schon alles, aber die Präsentation war etwas stockend. Im Großen und Ganzen waren die Charaktere auf eine angenehme Art anders als im letzten Abenteuer, wobei man natürlich keine „völlig“ anderen Charaktere erwarten muss – es sind schließlich immernoch die gleichen Spieler, gewisse Grundzüge bleiben dadurch einfach immer erhalten.

Im Hintergrund lief wieder ein zeitbasiertes System, das auf mich wie eine Variante des Tag-Nacht-Verlaufs aus „Der schwarze Tod“ wirkte. Allerdings waren die Auswirkungen der Zeit in der realen Welt diesmal nicht so stark beeinflussend für die imaginäre Welt wie zuletzt, was hier auch nicht so gut gepasst hätte, da die Spieler recht schnell einen eigenen Ereignisfluss gefunden haben. Es wurden kaum Diskussionen angezettelt, die Gruppe hat oft an einem Strang gezogen. Auch Hunger und Müdigkeit, die am Anfang noch als sehr, sehr wichtige Werte dargestellt wurden, gerieten nach dem ersten Drittel des Abenteuers in den Hintergrund und wurden eigentlich auch nicht vermisst.

Die Rätsel waren diesmal moderat bis nicht vorhanden, rückblickend würde ich sogar nur eine Situation als echtes „Rätsel“ bezeichnen. Eine Variation des Zebrarätsels, das Hauke in ähnlicher Form schon einmal in B.E.A.R.D.S. 2 verwendet hat.

Interessant waren auch die kleinen Einspieler, die Geschichten der Stadtbewohner. Hier wurden Randinformationen zu den historischen Ereignissen dargestellt, gesprochen von Hauke aus der Sicht eines Beteiligten. Es hatte einen sehr emotionalen Touch und klang damit nicht unbedingt objektiv, hat aber viel zur Stimmung beigetragen und den Auftrag der „Helden“ Stück für Stück in ein anderes Licht gerückt. Denn zu Beginn des Abenteuers trafen die Spieler auf einen Herren, der ihnen unverblümt den Auftrag gab, die Friedensverhandlungen zu stören. Die noble Wortwahl des NPCs „Kasper“ war anfangs nicht wirklich passend zur Situation und dem Setting. Ich konnte es mir deutlich besser im viktorianischen England vorstellen, als hier im deutschen Raum. So zumindest meine Wahrnehmung, manchmal reicht aber schon ein kleiner Nebensatz um aus „Hmnm das passt nicht“ ein „Oh, ok“ zu machen. Dieser Nebensatz kam von Hauke am Ende des Gesprächs, eventuell auch schon einmal zu Beginn und ich habe ihn überhört: er beschreibt Kasper als jemanden, der eigentlich nicht in diese Szenerie passt.

Was dafür zu dem diesmal noch düsteren Thema passte, waren die eher zurückhaltenden Witze. Es waren Witze und Wortspiele dabei, allerdings lange nicht so ein Feuerwerk wie in anderen Abenteuern. Aus meiner Sicht wäre das auch unangebracht gewesen, da das Thema diesmal noch ernster war als die Geschichte von der Pest – den das Unglück hier ist aus so vielen Facetten menschengemacht.

Das große Thema dieses Abends war „Moral“, schon beginnend bei dem Auftrag – der Mord an einer wichtigen Figur der Friedensverhandlung. Auch völlig neu – Hauke selbst hat schon zu Beginn drei Varianten vorgegeben, wie dieses Ziel erreicht werden könnte. Das hat mich sehr an den Text aus einem Abenteuerbuch erinnert. Wie die Spieler das Ziel erreichen wollen, wurde ihnen selbst überlassen. Und über dieses Ziel müssen wir nochmal etwas intensiver reden: das ist aus meiner Sicht der Grund, warum sich dieses Abenteuer als etwas Besonderes in die #spitzestife-Reihe eingliedern wird. Zum ersten Mal war eine moralische Entscheidung nicht nur ein netter Effekt, sondern komplett spieltreibend für den ganzen Abend. Das ganze Setup zielte darauf ab, dass die Überzeugung der Spieler Stück für Stück gebrochen wird. Natürlich war ihnen schon von Beginn an klar, dass sie die „Bösen“ sein werden, ein Mord lässt sich selten gut verpacken. Aber ihnen dann immer mehr die Grundlage zu nehmen, mit der sie aus Sicht ihrer Charaktere ihre Handlungen rechtfertigen können ist eine große Leistung.

So stand im Finale die Frage im Raum: tun wir das moralisch richtige, oder erledigen wir unseren Auftrag und „gewinnen“ das Spiel? Diese Tiefe kann ich mir bei passiven Medien wie Filmen, Büchern, auch bei Videospielen nur schwer vorstellen, da die Aktionen, die man selbst ausführen kann, sehr eingeschränkt sind. Aber nicht im Pen&Paper. Hier ist alles möglich und die Spieler müssen die Konsequenzen ihrer Entscheidungen selbst tragen. Die Ausrede „Ich hatte keine andere Wahl“ funktioniert nicht und dadurch bekommt jede Entscheidung noch viel mehr Gewicht.
Nils selbst sagte als Abschluss, dass das der größte Paralysemoment von allen Abenteuern bisher war und ich stimme ihm voll zu – ich war als Zuschauer auch gefangen vom Ende.

Ich weiß nicht, ob meine Sichtweise dadurch beeinflusst wird, dass ich selbst als Spielleiter aktiv bin und von den Feinheiten des Abenteurers deswegen anders begeistert war als andere Zuschauer. Aber ich habe am Ende einen kurzen Blick in den Chat geworfen und möchte die zwei folgenden Kommentare hervorheben:

asuna: Kannst du bitte noch mehr von diesen Emotionalen PnP´s machen? Du hast es wirklich geschafft meine Emotionen zu öffnen und mir am Ende Tränen in die Augen getrieben

Kommentare in diesem Ton habe ich mehrfach gesehen, offensichtlich kam die morallastige Schiene sehr gut an. Natürlich gibt es neben Lob auch immer Kritik:

Davascolo​: Das Ende hat einfach nicht zur damaligen Zeit gepasst, damals hätten sie noch so sehr Reden halten können, sie wären gehängt worden.

Ich verstehe seinen Standpunkt, muss aber sagen, dass Hauke die endgültige Entscheidung dem Chat überlassen hat. Und wenn die Mehrheit dafür votiert, dass die Helden am Leben bleiben, wäre ungerecht von Hauke dieses „Feel Good“-Ende zu nehmen. Und ich wäre mit beiden Enden zufrieden gewesen. Natürlich hätte der Tod am Galgen etwas extremeres, aber so war der Abend emotional aufwühlend und endete mit einem Happy End, obwohl das Ziel nicht erreicht wurde.

Mir persönlich hat das Abenteuer vom Unterhaltungswert nicht ganz so gut wie andere gefallen. Aber die beschriebene Prämisse mit den Moralwerten der Spieler zu spielen, im Grund „das Richtige“ tun wollen, hat dafür gesorgt, dass „1648 – Von Krieg und Frieden“ zu Recht einen Platz als herausragende Folge erhält.

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