Charakterbeziehungen

Vor einiger Zeit hatte ich mit meinen Spielern ein Gespräch darüber, dass sie öfter gewisse Zusammenhänge vergessen. Dafür gab es mehrere Gründe, heute will ich aber besonders auf „Wie standen die beiden nochmal zueinander in Beziehung?“ hinaus. Natürlich weiß ich als Spielleiter viel besser Bescheid – das ganze kommt größtenteils aus meinem Kopf. Ich glaube, dass man sich Dinge viel besser merken kann, wenn man sie sich selbst ausgedacht hat. Außerdem beschäftige ich mich nicht nur während unserer Spielrunden mit den Figuren, sondern auch darüber hinaus. Das trifft bei den Spielern (meistens) nicht zu und ist völlig in Ordnung. Wirft aber für mich die Frage auf: kann ich ihnen irgendwie helfen?

Da es speziell um die Beziehungen der Charaktere untereinander ging, dachte ich, dass man die vielleicht einfach notieren kann. Wenn man noch einen Schritt weiter denkt, dann will ich eigentlich etwas relativ einfaches, ich will das soziale Netz unserer Kampagne abbilden. Das klingt doch gar nicht so schwer und war es auch nicht: das soziale Netz von Adventure Corp S4. Hinweis: wenn ihr über Kanten und Knoten hovert, werden zusätzliche Texte eingeblendet.

Soziales Netzwerk
Soziales Netzwerk von Adventure Corp Staffel 4

Das war zwar ganz witzig und ist vielleicht sogar hilfreich, hat mir aber auch zwei Dinge klar gemacht, die mir bis dahin gar nicht aufgefallen sind:

  1. Die Charaktere (Spieler ausgenommen) lassen sich relativ leicht in relevante Figuren und Statisten unterscheiden
  2. Einige Spieler haben deutlich mehr Beziehungen zu anderen Charakteren als andere

Eigentlich sind beide Punkte ziemlich offensichtlich, wenn sie jemand ausspricht. Im Fall meiner Kampagne war es aber eine Erkenntnis, aus der ich Rückschlüsse ziehe und die dafür sorgen, dass ich meinen Spielleiterstil anpassen werde.

Hauptfiguren und Statisten

Widmen wir uns erstmal dem eigentlich einfachen Thema, die Einteilung der NPCs.
Natürlich ist jedem klar, dass jemand wie der Schmied im kleinen Dorf hinter dem Berg ein Gespräch mit den Helden führen kann, dass sie ihn vielleicht auch nach seinem Namen fragen. Aber für die Geschichte, für die große Kampagne, spielt sein Leben keine Rolle. Er ist das Beiwerk, um die Welt lebendig zu machen. Ob er den Helden eine gute oder eine schlechte Axt verkauft wird vermutlich keine große Rolle spielen (vermutlich, mir fallen da sofort einige Situationen ein, in denen man das aufblasen kann, aber dazu später mehr).
Auf der anderen Seite steht der Berater des Königs, der immer wieder Kontakt zu unseren Helden aufnimmt, ihnen Aufträge erteilt oder ihnen vielleicht im Weg steht.

Was unterscheidet diese beiden Figuren?
Ihr Einfluss auf die Geschichte? Bestimmt. Viel wichtiger finde ich aber die Aussage, dass der Berater immer wieder Kontakt aufnimmt. Stellt euch vor, ihr würdet in jeder Runde den Schmied wiedersehen oder von ihm hören. Stellt euch vor, der Kampf gegen den wilden Eber eskaliert, weil die Axt mitten im Kampf bricht. Auf einmal hat er Einfluss auf die Geschichte. Und damit er immer wieder auftaucht, muss es einen guten Grund geben. In meinem Kopf schwirren jetzt schon Fragen zum Schmied und seiner Geschichte umher.
Was ich damit aber ausdrücken will, ist, dass praktisch jede Figur entweder ein Statist oder ein relevanter Charakter sein kann. Wenn der Berater wirklich nichts anderes tut, als den Helden Aufträge zu geben, sehe ich ihn als Mittel zum Zweck, man könnte ihn sicher leicht ersetzen.
Am Ende entscheidet ihr als Spielleiter, aber auch eure Spieler, in welche Richtung das Schicksal eines NPCs läuft.

Wenn ihr also grundlegend ausgearbeitet habt, welche Charaktere für euch in welche Rolle fallen, kommt der zweite Schritt. Bevor ihr einen neuen Charakter einführt, denkt darüber nach, ob ihr für das was ihr vorhabt wirklich eine neue Figur braucht. Denn die Liste an relevanten Charakteren kann nicht endlos wachsen. Immerhin müsste ihr relativ regelmäßig jedem einen Moment im Rampenlicht geben, sonst geraten sie in Vergessenheit. Romane und Theaterstücke sind hier oft (Ausnahmen bestätigen die Regel?) ein gutes Leitbild, meist gibt es nur eine handvoll wirklich wichtiger Figuren, deren Namen man sich merken muss. Der Wiedererkennungswert beim Leser/Zuschauer ist höher, weil nicht lange überlegt werden muss, woher man die Figur eigentlich kennt. Es macht auch einen dramatischen Auftritt nach langer Abwesenheit… naja dramatischer. Wenn ich nicht erst darüber nachdenke, woher ich die Figur kennen soll, sondern sofort weiß, um wen es sich handelt. Ein Problem, das ich oft mit One Piece habe und das mich immer wieder kurz rausreißt.

In diesem Sinne einige Gedanken, die ich euch mit auf den Weg geben will:

  • Seid nicht zu festgefahren, wer eine relevante Figur ist und wer nicht
  • Der/die große fiese Herrscher*in muss keine tragende Rolle sein, er/sie ist vielleicht nur Mittel zum Zweck
  • Geht darauf ein, wenn eure Spieler an einer Figur Gefallen finden. Vielleicht verdient sie mehr Fokus in eurer Geschichte
  • NPCs haben vielleicht auch Ziele und Gefühle

Einige Spieler bauen mehr Beziehungen auf als andere

Anmerkung: Der folgende Abschnitt soll in keiner Weise meine Spieler kritisieren. Jeder hat seine eigene Art zu spielen und das respektiere ich nicht nur, das finde ich sogar super.

Die Erkenntnis war ein kleiner Schock für mich, weil sie mir brutal vor Augen geführt hat, dass ich einigen Spielern (im konkreten Fall Jin und Tadamir) deutlich mehr Zeit zum Scheinen gegeben habe als dem Rest der Crew. Natürlich muss auch ein gewisser Aktionismus von den Spielern kommen, aber wir wissen ja alle, wie Gruppendynamik sein kann. Es gibt immer Spieler, die das Gefühl haben, wenn sie jetzt nichts sagen, sagt niemand was. Das ist völlig in Ordnung, denn hier soll es um die Spielleiterseite gehen. Und da kann man eine Menge machen!

Als ersten Schritt würde ich immer empfehlen mit den Spielern einzeln zu reden. Sind sie zufrieden mit der aktuellen Situation? Gibt es vielleicht einen Grund, warum sie eher im Hintergrund bleiben? Bevor ihr nicht wisst, was los ist, könnt ihr nichts ändern, denn das „Problem“ (scheint mir hier das falsche Wort zu sein) kann ganz individuell sein. Ebenso die Lösung.
Um konkret bei meinem Fall zu bleiben, es ist aufgefallen, dass ich Jin und Tadamir deutlich mehr Storyhooks zugeworfen habe, als den anderen. Das liegt zum einen daran, dass sie viel leichter darauf anspringen, aber auch daran, dass es zuweilen wenig gab, das sich speziell auf Orveyl, Nino oder Bhavin bezogen hat. Die Schlussfolgerung war damit klar, es müssen mehr Momente her, die speziell diese Charaktere und ihre Hintergrundgeschichten ansprechen. Oder Situationen, in denen sie ihre spezifischen Stärken/Schwächen ausspielen können. Das passiert natürlich nicht über Nacht. Mit dieser Erkenntnis kann ich aber bei der Vorbereitung der nächsten Runde immer wieder überlegen, wie ich mir den Ablauf vorstelle, wenn einer der Charaktere die Hauptfigur wäre. Welche NPCs wären dann sinnvoll? Was könnten für Dinge passieren und wie würde er/sie vielleicht reagieren? Vielleicht reicht es schon, wenn einer der NPCs sich weigert mit einem Menschen zu reden.

Fazit

Natürlich ist das soziale Netzwerk nicht für jede Kampagne sinnvoll. Und es kostet etwas Zeit, um es aufzusetzen (wenn ihr möchtet, nutzt dafür gern meinen Code). Aber manchmal kann es sehr spannend sein, die eigene Kampagne aus einer anderen Perspektive zu sehen. Wer weiß, was euch auffällt!

4 comments on “Charakterbeziehungen

  1. Thomas

    Ich finde so einen social graph eine ziemlich coole Idee, der verschafft einen schnellen Überblick für vergessliche Spieler (und Spielleiter).

    Spannende Einsichten ins NPC-Handling! Ich hab in den von mir geleiteten Runden die Bindung von NPC zu PC über zwei weitere verwandte Aspekte zu intensivieren versucht: Erstens habe ich angestrebt, dass die Spieler eine Art „Basis“ hatten, in die sie regelmäßig zurückkehren konnten – dadurch lebten die dort geknüpften Kontakte ganz von alleine immer wieder auf, man war halt regelmäßig „zu Hause“. Zweitens hatte ich in meiner 3.5er Runde die Hausregel, dass das „Aufleveln“ selbst eine Art „Downtime“ zwischen zwei Abenteuern darstellt. In der Praxis hieß das, dass es Levelaufstiege nicht mitten im Dungeon gab, sondern erst zu einem geeigneten Zeitpunkt danach. Für das Verbessern oder Erlernen von Skills & Feats hatten die PC dann quasi „Zeit“ und konnten sich beispielsweise einen Trainer suchen oder sich ne Woche in einem Labor oder einer Bibliothek einschließen, um neue Zauber zu lernen. Dadurch hatten sie weiteren Kontakt zu den gleichen NPCs.

    1. Björn

      Das sind auch spannende Ideen, die einander irgendwie beflügeln. Ich glaube, dafür müsste ich an meine Runden mit einem anderen Mindset rangehen. Die Art, wie ich im Moment die Geschichten ausspiele, würde sich dafür nicht so gut eignen, wenn man immer wieder zu einem Punkt zurück muss. Gute Konzepte!

  2. Marfey

    Bei so vielen Spielern ist es schwer allen gleich viel Aufmerksamkeit zu geben. Aber Ich persönlich finde es nicht schlimm, wenn einzelne PC in manchmal nicht so viele Hooks haben. Die Gruppe entscheidet welchen Storys sie nach geht und nicht jeder PC ist in jede Story total eingebunden. Dass heißt aber nicht, dass sie nicht mit der Welt verbunden sind. Ein Beispiel: Orveyl als Nomade wird wahrscheinlich in der Stadt des Riesen wenig zutun haben. Aber wenn die Gruppe sich entscheidet nach der Stadt über das Gebiet seines Stammes zu reisen und dort Probleme findet wird er mehr Aufmerksamkeit bekommen als z. B. Jin, der keine Verbindung zu den Zentauren hat.

    Natürlich ist es die Aufgabe des Spielleiters auch Gründe zu liefern, warum die Spieler die Hintergrundstory einzelner PCs verfolgen sollten und auch so zu gestalten, dass die ganze Gruppe darin einen Vorteil sieht. Z. B. Könnten die Spieler von einem großen Lager der Maschinenmutter erfahren, bei dem sie die Hilfe der Zentauren brauchen um es anzugreifen.

    Ich persönlich freue mich schon drauf die Brüder unserer Ninjaschildkröte zu erfahren oder den Nimadenstamm unseres Zentauren zu sehen und wie sie auf unsere Gruppe reagieren.

    1. Björn

      Völlig richtig, trotzdem denke ich, dass es einen Unterschied gibt zwischen „Ich habe hier aktuell keine richtigen Verbindungen“ und „Ich habe hier aktuell eigentlich nichts zu suchen“. Das letztere kann den Spielspaß trüben und war eher mein Fokus in dem Beitrag. Trotzdem stimme ich dir zu, was für eine Geschichte gerade gespielt wird beeinflusst natürlich stark, inwieweit sich Charaktere einbringen können. Trotzdem würde ich schon jetzt Brief und Siegel darauf geben, dass auch Jin und Tadamir beim Zentaurenstamm sehr aktiv wären ;) Ich darf da auf jeden Fall niemals von irgendwelchen Würfeln sprechen, sonst eskaliert das wieder.

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